Tipps für Eltern

 

Für viele Eltern, bei deren Kind eine Lese- und Rechtschreibstörung, Isolierte Rechtschreibstörung oder Dyskalkulie diagnostiziert wurde, ist die Diagnose verständlicherweise erst einmal ein großer Schock. Und wahrscheinlich wird es Ihr Kind in Bezug auf das Lesen und Schreiben bzw. Rechnen und den Umgang mit Zahlen immer ein bisschen schwerer haben als andere Kinder.

Dennoch ist es auch mit einer Lese-Rechtschreibstörung oder einer Rechenstörung möglich, ein glückliches, zufriedenes und erfolgreiches Leben zu führen, einen guten Schulabschluss zu erreichen und einen Beruf zu erlernen, der den Interessen und Stärken Ihres Kindes entspricht und von dem es sich gut leben lässt. Schließlich waren auch Albert Einstein, John F. Kennedy, Leonardo da Vinci und Hans Christian Andersen Legastheniker.

 

 

Im Folgenden möchte ich Ihnen ein paar Tipps mit auf den Weg geben, die Ihnen den Umgang mit den Lernschwierigkeiten Ihres Kindes etwas erleichtern und Ihnen Anregungen dafür geben sollen, wie Sie Ihrem Kind in dieser herausfordernden Situation bestmöglich zur Seite zu stehen können:

 

  • Erklären Sie Ihrem Kind, dass es keinesfalls dumm ist, sondern Buchstaben, Laute oder Zahlen lediglich anders wahrnimmt und verarbeitet als Menschen ohne Legasthenie oder Dyskalkulie, was es ihm zwar leider schwerer, aber nicht unmöglich macht, das flüssige Lesen, richtige Schreiben oder sichere Rechnen zu lernen.
  • Versuchen Sie, Ihr Kind so gut wie möglich in seinem Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen zu stärken, indem Sie den Blick nicht nur auf seine (noch vorhandenen) Defizite und Schwierigkeiten richten, sondern auch seine Stärken, Fähigkeiten und Talente wahrnehmen, bewusst machen und Ihrem Kind rückmelden. Vielleicht ist Ihr Kind besonders einfühlsam, kreativ oder handwerklich begabt.
  • Machen Sie Ihrem Kind bewusst, dass es vollkommen normal ist, gewisse Dinge - wie etwa das Lesen, richtige Schreiben oder Rechnen - (noch) nicht so gut zu können und Fehler zu machen, denn diese sind natürlicher Bestandteil eines jeden Lernprozesses - ähnlich wie beim Laufenlernen. Nach dem ersten Robben und Krabbeln probiert man irgendwann, sich hochzuziehen, aufzustehen, einigermaßen sicher auf eigenen Beinen zu stehen und wagt die ersten Schritte, fällt hin, steht wieder auf und probiert es nochmal - wieder und wieder, bis es irgendwann immer sicherer und besser klappt. Genau so, wie der Prozess vom ersten Köpfchen heben bis zum sicheren, selbstständigen Laufen dauert auch der Prozess des Lesen-, Rechtschreiben- oder Rechnenlernens oft viele Monate und erfordert eine gewisse Anstrengungsbereitschaft, Durchhaltevermögen und den festen Glauben daran, dass man es eines Tages zumindest besser können wird als zu Beginn.
  • Versichern Sie Ihrem Kind immer wieder, dass Sie ganz fest daran glauben, dass es mit der Zeit immer besser im Lesen, Schreiben oder Rechnen werden kann, wenn es für die Tipps, die es in der Schule oder in der Lerntherapie vermittelt bekommt offen ist und versucht, diese so gut wie möglich umzusetzen und sich seine Mühe und sein Durchhaltevermögen eines Tages lohnen werden. Ganz nach dem Motto: „Glaube an das, was noch nicht ist, damit es werden kann."
  • Melden Sie Ihrem Kind jeden noch so kleinen Fortschritt zurück, den Sie im Lesen, Schreiben oder Rechnen wahrnehmen. Loben Sie es dafür und ermutigen es dazu, sich auch selbst zu loben und auf sich und das schon Erreichte stolz zu sein. Das wird Ihr Kind sehr anspornen, „dran zu bleiben“ und weiter zu üben.
  • Auch wenn es nicht immer leicht ist, haben Sie Geduld mit Ihrem Kind, denn erste deutlich sichtbare Fortschritte und Lernerfolge stellen sich in der Regel erst nach einer gewissen Zeit – oft nach mehreren Monaten gezielten Übens – ein. Loben Sie Ihr Kind deshalb insbesondere in der Anfangsphase, in der sich noch keine oder kaum Fortschritte beobachten lassen, bereits für seine Bemühungen und Anstrengungen und teilen Sie ihm mit, wie beeindruckend und toll Sie es finden, dass es sich trotz seiner erschwerten Lernvoraussetzungen aufgrund seiner LRS oder Dyskalkulie jeden Tag aufs Neue dem Lesen, Schreiben oder Rechnen stellt und versucht, sich nicht unterkriegen zu lassen. Denn das beweist wahre Stärke!
  • Zeigen Sie Verständnis, wenn Ihr Kind mal keine Lust zum zusätzlichen Lesen, Schreiben- oder Rechnenüben hat und üben Sie dann möglichst keinen Druck oder gar Zwang aus. Denn dann wird sich Ihr Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit immer mehr verschließen und verweigern. Probieren Sie es einfach in ein, zwei oder drei Tagen noch einmal.
  • Wenn Ihr Kind zwei oder drei Mal pro Woche für etwa 5-10 Minuten zusätzlich zu den Hausaufgaben und dem gezielten Lernen für bevorstehende Proben noch ein bisschen liest oder rechnen übt, ist das – insbesondere in den ersten Monaten der Therapie – bereits vollkommen ausreichend und besser als nichts. Bedenken Sie dabei, dass beispielsweise auch das Lesen von Handynachrichten oder Straßenschildern eine Form des Lesetrainings darstellt. Auch Comics oder Comic-Romane sind erlaubt und aufgrund des reduzierten Textumfangs sogar hervorragend dafür geeignet, das Kind an das Lesen heranzuführen und einer Überforderung vorzubeugen. Denn dies würde ohnehin nur wieder dazu führen, dass Ihr Kind weiterhin davon überzeugt ist, zu dumm zum Lesen zu sein und es nie zu lernen. Und das kleine Einmaleins lässt sich prima auch mal zwischendurch trainieren.
  • Sehen Sie insbesondere beim lauten Vorlesen, aber auch beim Schreiben vor allem in den ersten Wochen und Monaten der Lerntherapie gnädig über den ein oder anderen Fehler hinweg und machen sich Folgendes bewusst: Ihr Kind ist gerade dabei, sich an etwas heranzuwagen, das ihm wirklich (noch) sehr schwer fällt und wenn es dabei permanent jeden seiner Fehler vor Augen geführt bekommt, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit ziemlich schnell keine Lust mehr haben, aufgeben und womöglich sogar vollkommen resignieren und sich verweigern.
  • Versuchen Sie stattdessen, Ihrem Kind hilfreiche Tipps zu geben, die es dabei unterstützen, die Situation leichter bewältigen zu können - beispielsweise, indem sie Ihr Kind dazu anregen, während des Schreibens langsam ("in Schneckensprache") laut, flüsternd oder in Gedanken Laut für Laut mitzusprechen, um möglichst keine Buchstaben zu vergessen oder zu verdrehen und erinnern Sie es immer wieder daran, langsam genug mitzusprechen und genau hinzuhören. Sprechen Sie Ihrem Kind das zu schreibende Wort ggf. langsam Laut für Laut, Silbe für Silbe deutlich vor, während es schreibt. Das hilft in der Regel enorm!
  • Legen Sie den Fokus bei Rückmeldungen zu Falschschreibungen - idealerweise nach Rücksprache mit der Therapeutin - nur auf einen oder maximal zwei Rechtschreibschwerpunkte (z.B. "Versuche ganz besonders daran zu denken, Wörter mit Sp/ St richtig zu schreiben.", "Achte heute ganz besonders darauf, möglichst alle Namenwörter (Nomen) zu erkennen und großzuschreiben." oder "Versuche vor allem daran zu denken, Wörter mit langem i richtig, nämlich mit ie, zu verschriftlichen." Sollte Ihr Kind dabei Merkwörter wie "Tiger" oder "Biber" ebenfalls mit langem ie schreiben, informieren Sie es sachlich darüber, dass diese Wörter eine Ausnahme darstellen und es sich dabei um Merkwörter handelt, deren Schreibweise man sich leider nicht mit Hilfe einer Strategie herleiten kann, sondern sich auswendig merken muss.)
  • Vielleicht hilft es Ihnen, sich in Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, jetzt muss doch endlich mal was vorangehen, an folgendes afrikanisches Sprichwort zu erinnern: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Wenn man zu fest daran zieht kann es sogar passieren, dass man die Wurzeln ausreißt und dann muss man erst einmal wieder neue Samen säen, damit überhaupt etwas wachsen kann. In der Regel erreicht man wesentlich mehr, wenn man Geduld und Verständnis zeigt und dem Kind die Zeit gibt, die es braucht. Rom wurde ja bekanntlichermaßen auch nicht an einem Tag erbaut. Und auch da lief beim Bau mit Sicherheit nicht alles immer glatt und vollkommen fehlerfrei ;-)

 
Und das Allerwichtigste zum Schluss:

 

Lassen Sie Ihr Kind immer spüren, dass Sie es lieben, so wie es ist. Denn jeder Mensch hat Dinge, die er nicht so gut kann und vielleicht auch niemals so gut wie andere können wird. Trotzdem ist er absolut einzigartig, großartig, wertvoll und liebenswert, so wie er ist!